Rechtliche Grundlagen:
Das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG)
§ 72a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII)
Vorgeschichte:
Auslöser für die Gesetzesänderung waren insbesondere die Anfang 2010 bekannt gewordenen Vorfälle von sexuellem Missbrauch in Schulen, Internaten, Heimen und sonstigen Einrichtungen.
Der „Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch“ entwickelte daraufhin Forderungen an Politik, Wissenschaft und die verschiedenen Akteure vor Ort.
In diesem Zusammenhang entstanden auch die Hinweise zur Vorlage von Führungszeugnissen von Personen, die in ihrer Tätigkeit einen engen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufbauen.
Anliegen des Gesetzgebers:
• Kein „Generalverdacht“ gegenüber in der Kinder- und Jugendhilfe tätige Personen
• Erweitertes Führungszeugnis (eFZ) als „ein Baustein“ eines umfassenden Präventions- und Schutzkonzeptes
• Neues Verständnis von präventivem Kinderschutz
Änderungen:
Um dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern und Jugendlichen gerade mit Blick auf Sexualstraftaten Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber mit dem am 01.01.2012 in Kraft getretenen Bundeskinderschutzgesetz auch den § 72a SGB VIII geändert.
Diese Vorschrift verfolgt das Ziel, einschlägig vorbestrafte Personen von der Wahrnehmung von Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe fernzuhalten bzw. auszuschließen und damit Kindeswohlgefährdungen vorzubeugen.
U.a. folgende wesentliche Änderungen beinhaltet der neue § 72a SGB VIII:
- Ein eventueller Tätigkeitsausschluss ist durch die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses gemäß § 30a Bundeszentralregistergesetz (BZRG) bzw. für Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Staaten eines europäischen Führungszeugnisses gemäß § 30b BZRG festzustellen.
- Auch neben- und ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendhilfe tätige Personen sind jetzt neu in den Anwendungsbereich einbezogen.
- § 72a Abs. 4 SGB VIII verpflichtet die öffentlichen Träger der Jugendhilfe (=Jugendamt) zum Abschluss von Vereinbarungen mit den freien Trägern, in denen die Vorlagepflicht des erweiterten Führungszeugnisses von neben- und ehrenamtlich Tätigen geregelt ist.
Auszug aus der Gesetzesbegründung, Besonderer Teil; BT-Drucks. 17/6256, 24-25
Die Änderungen in § 72a tragen dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern und Jugendlichen gerade mit Blick auf Sexualstraftaten Rechnung, die wegen der Art, Dauer und Intensität des Kontakts ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Personen außerhalb der Familie aufbauen. Dies eröffnet möglichen Tätern „Zugänge“ außerhalb des unmittelbaren elterlichen Einflussbereichs.
Der Auftrag des Staates zum Schutz von Minderjährigen wird durch die Tatsache verstärkt, dass die Kontaktaufnahme zu Kindern und Jugendlichen im Kontext der Erbringung staatlicher Aufgaben und Leistungen erfolgt.
In Umsetzung dieser besonderen staatlichen Schutzpflicht liegt der Regelung die Intention zugrunde, über die Vorlage von erweiterten Führungszeugnissen einschlägig vorbestrafte und damit ungeeignete Personen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe von der Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung von Kindern und Jugendlichen auszuschließen.
Die Gefährdungslage für das Kind besteht unabhängig davon, ob diese Personen dem Kinde hauptberuflich, neben- oder ehrenamtlich gegenübertreten.
Gefahrsteigernd für das Kind wirken sich alle Tätigkeiten aus, die es ermöglichen, ein besonderes Vertrauensverhältnis zu dem Kind oder Jugendlichen aufzubauen.
Hierzu sind ehrenamtliche wie berufliche Tätigkeiten gleichermaßen geeignet.
Der tatsächliche Zugang zu Tätigkeiten mit Kindern und Jugendlichen über das Neben- oder Ehrenamt ist nicht schwerer als über eine hauptamtliche Beschäftigung, die zunächst eine berufliche Qualifikation voraussetzt.
Die Entscheidung, ob eine Tätigkeit den Grad der Kinder- und Jugendnähe erreicht hat, der ggf. die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses erforderlich macht, hängt davon ab, wie im Einzelfall der tatsächliche Kontakt der Person zu Kindern und Jugendlichen ausgestaltet ist.
Ein Vorlageerfordernis ist dann gegeben, wenn die Kontakte von einer gewissen Intensität, Art und Dauer sind. Dies sind solche Kontakte, die grundsätzlich geeignet sind, ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Kindern und Jugendlichen aufzubauen.
Ergebnis einer Expertise zu den aufgrund dieser gesetzlichen Regelung zu erwartenden positiven und negativen Folgen:
(Auftraggeber der Expertise: Dr. Christine Bergmann, Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs)
Gesehene positive Folgen:
- Ausschluss einschlägig vorbestrafter Personen
- Abschreckungseffekt
- Sensibilisierung der Verantwortlichen
Mögliche negative Folgen:
- Abschreckung von eigentlich geeigneten Personen
- Aufbau bürokratischer Hindernisse
- Falsche Gewissheit, damit alles Erforderliche unternommen zu haben.
Frau Dr. Bergmann spricht sich in ihrem 2011 veröffentlichten Abschlussbericht ausdrücklich für eine grundsätzliche Pflicht zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses auch für ehrenamtlich Beschäftigte aus.